Gelb war der Tag

Es gibt Tage und Abende, da fällt einem, beim Teutates!, die Decke auf den Kopf. Ich ging also außer Haus, frische Luft, frischen Feinstaub schnappen. Die Realität auf den Gassen in meiner Wohngegend ist, wie jede nackte Realität, ziemlich trost- und phantasielos. Als Fußgänger wird man von Autos und Ampeln nur zähneknirschend geduldet. Dann die Puffs und Laufhäuser... eher schiefe Blicke aus Spelunken. Manchmal hat man Glück, und es ergeben sich flüchtige Kontaktmomente von Anonymität zu Anonymität. Man meint einander zu erkennen, ohne sich je vorher gesehen zu haben. »Du also auch heute hier draußen. Nix los, was? Jaja, ich weiß schon.« Während jeder trotzdem weiter muß. Wohin? Egal. Hauptsache in Einsamkeit, im stillen Selbstgespräch geborgen. Furchtbar. Also, nein, noch nicht umkehren, erst einmal in Richtung Stadtpark. Meine Augen erholen sich, wenn sie verschiedene Oberflächen, Konturen, Farben, Formen abtasten können, in der Bewegung. Hier in der Zivilisationswüste gibt es so viele Mauern, Wände, Fassaden, Türen, manchmal huschen Silhouetten von Personen hinter halbtransparenten Vorhängen vorbei, ein paar Gräser in Asphalt- und Häuserritzen, ab und zu ein Fahrradfahrer, das Rattern der leerlaufenden Ritzel hallt von den Häuserfronten wider, es sind Tunnelwände eines großen Gebäudelabyrinths, irgendwann waren diese Mauern noch unter der Erde gelagert, in Steinbrüchen und Lehmgruben, jetzt sind sie eben hier zu geometrischen Formen aufeinandergestapelt, zusammengepreßt, amagalmiert, da, wo vor gar nicht langer Zeit noch vielleicht ein Sumpf, eine Weide, ein Wald gewesen ist. Aber auch die Steine fangen an, je stiller man wird, sich mitzuteilen, und ich spinne Theorien, daß Objekte sich allein schon verändern, nur wenn sie angeschaut werden. Ein Bildschirm ist dagegen schrecklich keindimensional. Und die Straßen und Wege und Gassen, sie sind beides, Blutbahn und Äderwerk der Stadt, und die klebrigen Fäden ihres Netzes. Es gibt hier niemanden, mit dem man sprechen könnte, aber vielleicht sind das ja die Gedanken der Gassen selbst, die zu einem sprechen. Irgendwann, gehst du nicht mehr nur durch den Raum, sondern durch die Zeit, und jeder Schritt, wirft Gedanken auf.

Sonst ist auch nicht viel passiert.

Im Rhythmus des Gehens fielen mir diese Worte ein. Ich rätselte über ihre Bedeutung, aber man muß ja nicht alles verstehen, sagte sie mir so lange auf, bis ich wieder zuhause war und sie aufschreiben konnte. Später fügte ich den Titel »Genesung« hinzu.


ich war mir immer schon    allein     ich hatte eine Hoffnung

grünblau und unsichtbar    schwadenhaft     erschien sie mir  

ich erinner mich    gelb war der tag     an dem sie nach mir griff

und auch gelb    war der tag    an dem sie mich verließ


nie!       war ich so bei mir      wie sie mich entriss

ich glaube    es war    das die andern     liebe nennen







Kommentare

  1. Ein Text, wie geschaffen für Ende November!

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    1. Ja, und die Sonne steht im Bild sogar im Schützen! Hat sich völlig absichtslos so ergeben!

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    1. Wald-, Fluß- und Wiesenbilder sind alle im Juli/August aufgenommen worden. Die Baumallee ist auf der "Agora" des Messegeländes der Frankfurter Buchmesse. ;-)

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  3. Ein Moment des Weltschmerzes, der von großer Empfindsamkeit zeugt. Gefühlvoll in Worte gefasst.
    (Ich nehme hypothetisch an, es geht um Liebeskummer, auch.)

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    1. Ja, es ist schon ein Liebeskummer-Gedicht. ;-) Geboren nicht unbedingt aus der Sprachlosigkeit, sondern aus der Gesprächslosigkeit des verweigerten Das-Gemeinsame-gemeinsam-Anschauens. Ein toxisches Beziehungsmodell, das keine Gedanken kennt, dafür aber Vorwürfe und Verregelungen des möglichen Zukünftigen durch Pläne und "wenn-danns". Da stirbt das Leben und man bleibt zunächst einmal im enttäuschten Zorn alleingelassen und fassungslos zurück.

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